Pressetext  

Wladyslaw Szpilman

"Das wunderbare Überleben"

Als Jude in Warschau die Nazi-Besatzung zu Überleben, das grenzt an ein Wunder. Der Pianist und Komponist Wladyslaw Szpilman hat das unmöglich Scheinende geschafft. Aber um was für einen Preis!
Er hat seine Mutter, seinen Vater, seine beiden Schwestern und seinen Bruder in die Viehwagons steigen sehen, die nach Treblinka fuhren. Er hat tagtäglich das Leiden im Warschauer Getto,  den Hunger, das Sterben, die Krankheiten und die alles überwuchende Verzweiflung direkt vor der eigenen Tür erlebt. Er hat beobachtet, wie willkürlich SS und Gestapo Menschen ermordeten, die die Binde mit dem Davidstern tragen mußten.
Szpilmans unmittelbar nach Kriegsende aufgezeichneten und 1946 in Polen erstmals veröffentlichten und sofort vom Markt genommenen Warschauer Erinnerungen (so der fast harmlos klingende Untertitel), sind eine Chronik des unvorstellbaren Schreckens. Diese Chronik schildert, mit welch grausamer Konsequenz die Nazi-Besatzer das Leben der Juden zerstörten. Die systematische Beschneidung des Lebensraums, das wahllose Morden auf den Straßen, der brutale Entzug von Nahrungsmitteln, die gezielte hygienische und medizinische Unterversorgung - das alles führte schon lange vor den ersten KZ Transporten und der späteren Liquidierung des Warschauer Gettos in die physische Vernichtung jüdischer Menschen.
Inmitten dieses unbarmherzigen Mordsystems hat der Musiker Szpilman  durch Geschick, Instinkt und manchmal nur Glück  sein Leben bewahren können. Ihm gelang nach der erzwungenen Trennung von der Familie die Flucht in den "arischen" Teil Warschaus, als die Massentransporte in die Konzentrationslager begannen. In leerstehenden Wohnungen, auf zugigen Dachböden und in ausgebrannten Ruinen hat er gehungert, gefroren und vor Angst gezittert, wenn er hörte, wie sich Menschen seinem jeweiligen Versteck näherten. Anfangs konnten ihn die wenigen polnischen Freunde, die ihm unter Lebensgefahr halfen, noch ab und zu Lebensmittel in seine Notunterkünfte bringen. Später reduzierte sich seine Ernährung auf verschimmelte Brotreste und verdrecktes Wasser.
Diesem Menschen war buchstäblich alles bis auf die nackte Existenz weggenommen. Er mußte täglich mit seinem gewaltsamen Tod rechnen und stand mehrmals unmittelbar vor der Entscheidung, sich selbst umzubringen, bevor er den Nazi-Schergen in die Hände gefallen wäre. Szpilmans einzige Weggefährten in dieser furchtbaren Zeit waren Einsamkeit und Verzweiflung.
Gemessen an den Abgründen, die dieser Mann bis zu seiner Befreiung im Januar 1945 durchschreiten mußte, bewahren seine Erinnerungen  eine gänzlich unerwartete Zurückhaltung im Ton. Hier spricht keiner, der anklagen will oder Sühne für die furchtbaren Verbrechen fordert. Szpilman hält fest, was sich vor seinen Augen ereignet hat. Er begreift sein wundersames Überleben als moralische Verpflichtung, sich und der Welt Zeugnis abzulegen.
Dabei erweist er sich als genauer Beobachter, dessen detaillierte Skizzen uns ein weit anschaulicheres Bild vom Getto-Alltag vermitteln, als es die bloße Faktensammlung historischer Forschung vermag. Wird man jemals vergessen können, wie ein alter zerlumpter Greis mit einer armen Frau um deren Suppenkanne kämpft und sich, als die Kanne zu Boden fällt, in den Schneematsch stürzt, um die Suppe direkt vom Gehweg zu schlürfen? Fassungslos erleben wir, wie das gelähmte Oberhaupt einer jüdischen Familie von SS-Männern mitsamt dem Sessel vom dritten Stock aus auf die Straße geworfen wird. Und nie wird uns der Anblick des kleinen jüdischen Kindes verlassen, das in einem Abflußloch der Gettomauer hängenbleibt und wehrlos von einem deutschen Gendarm zu Tode geprügelt wird.
Inmitten all dieser Schrecken bewahrt der Zeitzeuge Szpilman sich einen unbestechlichen Blick, dem auch die andere Seite des Lebens der Juden im Getto nicht entgeht:  Geschäftemacher, Schieber und Schmuggler, die mit den Nazis kooperieren und sich an der Not der anderen bereichern, wie auch eine jüdische Polizei, die der SS bei Verhaftungen und Selektionen hilft. Doch auch die zweifelhaften Charaktere im Getto reagierten nur auf den Nazi-Terror , der ihr Leben bedrohte und letztlich auch vernichtet hat. Sie alle waren Nazi-Opfer, wie Wolf Biermann in seinem lesenswerten Nachwort richtig feststellt.
Für Szpilman bildeten die Szenen im Ghetto erst den Auftakt für einen fast unmenschlichen Überlebenskampf. Die Angst vor der Entdeckung durch die Deutschen reduziert seine Existenz auf engsten Raum. Er darf sich in seinen jeweiligen Verstecken nicht bemerkbar machen, kann keine Nahrung besorgen. Diese Ohnmacht steigert sich im Kriegswinter 1944/45, als der durch Hunger und Krankheit Geschwächte auf dem Dach eines ausgebrannten Hauses Zuflucht sucht.
Später, als er auch dieses Versteck verlassen muß, wird ausgerechnet ein deutscher Offizier zu seinem entscheidenden Retter. Es war Hauptmann Wilm Hosenfeld, dessen Name dem Autor bei der Niederschrift seines Textes (1945) nicht bekannt war, der auch anderen Menschen nachweislich das Leben gerettet hat. Er war, wie Szpilman voller Dankbarkeit und Anerkennung schreibt, »der einzige Mensch  in deutscher Uniform, dem ich begegnet bin".
Und die im Anhang erstmals veröffentlichten Tagebuch-Aufzeichnungen  zeigen Hosenfeld als einen erschütterten Zeugen des Nazi-Terrors. Er berichtet fast ungläubig von den Deportationen, den Erschießungen, den Mißhandlungen, beschreibt die Massenmorde in Auschwitz und Treblinka. »Wir haben eine unaustilgbare Schande, einen unauslöschlichen Fluch auf uns geladen. Wir verdienen keine Gnade, wir sind alle mitschuldig". Worte aus deutschem Mund, die eine klare, unmißverständliche Sprache sprechen. Der Christ Hosenfeld nimmt sich von der Verantwortung nicht aus: »Was sind wir Feiglinge, daß wir, die besser sein wollen, das alles geschehen lassen. Darum werden wir auch mitgestraft werden. Auch unsere unschuldigen Kinder wird es treffen, denn wir machen uns mitschuldig, indem wir die Frevel zulassen«.
Einen Teil seiner Schuld hat Wilm Hosenfeld abgetragen, indem er dem verfolgten Wladyslaw Szpilman mit Lebensmitteln das Überleben auf dem Dachboden des Warschauer Festungskommandos sicherte. Nicht zuletzt diesem Umstand haben wir es zu verdanken, daß heute dieses bewegende Buch vor uns liegt.

ECON 98